Bis bald – oder „Wetten, dass Geld doch glücklich macht?“

Gedanken zur Weltpremiere des Films „Solange Du hier bist“ auf den Filmfestspielen Locarno 2006
 
Der erste Satz ist gleich eine Lüge:  „Ich habe schon geschlafen“ sagt Georg, alt und ganz und gar nicht mehr „straff“, durch die verschlossene Haustür zu Sebastian. Dieser entpuppt sich als das ganze Gegenteil – wohl proportioniert und leicht verlebt schön. Muss er auch sein, sonst würde die sexuelle Geschäftsbeziehung, die die beiden verbindet, vermutlich nicht funktionieren… Wer jetzt glaubt, der 26jährige Stefan Westerwelle hätte in seinem Debütfilm eine billige Freier-Stricher-Schmonzette verarbeitet, irrt sich gewaltig:  In grandioser Entschleunigung (auf die man sich allerdings einlassen muss) und wunderschönen, fast dokumentarischen, Bildern von Kamerafrau Bernadette Paassen, ist eine beeindruckende Miniatur über den Warencharakter des Umgangs zwischen den Generationen entstanden.
Für den Betrachter mit vorwiegend Soap-rezeptionellem Verhalten entwickelt sich zunächst einmal alles prächtig:
Nach dem bezahlten Sex (im Dunklen) bittet Sebastian unerwartet, über Nacht bleiben zu dürfen („Du musst auch nichts zahlen“). Georg stimmt (natürlich!) hocherfreut zu und erfährt  später, dass Sebastians Vater gestorben ist, den dieser allerdings ewig nicht gesehen hat. Der Anschein von beginnender Vertrautheit zwischen den beiden Ungleichen entsteht, man isst zusammen und redet über Persönliches. Der einsame, verliebte Georg beginnt sich Hoffnungen zu machen, doch Sebastian wird erstmal zu seiner Familie zurückkehren. Dennoch schreibt er einen Abschiedszettel: „Bis bald“.
Die beiden exakt besetzten Schauspieler (Michael Gempart, Leander Lichti) spielen das anrührend authentisch. Besonders intensiv eine Szene, in der der Junge den Alten fragt, wie er das eigentlich aushalte, immer so allein – und der erklärt ihm, wie er Phantasien zum Leben erweckt und so „gar nicht allein“ sei…  Da möchte man sie gleich beide knuddeln, so toll ist das. Fortsetzung demnächst bei RTL…? Wohl kaum, denn der Film ist (der Regisseur wird diesen Vergleich eher nicht mögen) dokumentarischer, als er vielleicht sein möchte:
Das alte, wabbelige Fleisch bekommt das junge, feste nur, wenn ordentlich gezahlt wird – „Wetten, das Geld doch glücklich macht?“ stellte ja schon die Sparkassen-Werbung vor einiger Zeit fest. Der Junge braucht einen Unterschlupf und zahlt mit sich selbst, der Alte giert nach Zuneigung und Liebe und zahlt mit Selbstgebackenem und Zuwendung. So schön man sich einreden kann, wie toll es doch wäre, wenn sie sich wirklich näher kämen, so wenig passiert es. Entlarvend dafür ist eine Kernszene des Films (aus deren Interpretation sich der Regisseur auffällig heraus hält):  In einer Traumsequenz wäscht Sebastian den toten Georg (stellvertretend für seinen Vater???), zieht ihn an, trägt ihn ins Bett und legt sich neben ihn. Gänsehautfeeling. Aber bleiben wir realistisch:  Diese Zärtlichkeit des Jungen für den Alten besteht nur und ausschließlich  in der Situation, in der der Alte sie nicht mehr zurückgeben kann (weil er eben tot ist). Einer Leiche Ehre erweisen – ok, aber lebendige Zärtlichkeit zwischen den Generationen – vergiss es! Wenn das nicht dokumentarisch ist!?
Auf den schwulen Internet-Dating-Seiten endet das Wunschalter in aller Regel deutlich unter 40, wer als Alter jünger will, klickt am besten gleich weiter zur Callboy-Seite, wer als Junger älter will, wird vermutlich von Anfragen erstickt … Von wegen „Gay Community“. 
Ohne in irgendeiner Form moralisierend oder hochmütig zu sein, ist „Solange Du hier bist“ eine  erbarmungslos realistische (auch mutige) Betrachtung des Triumphs der Jugend über das Alter.  Annäherung nicht in Sicht, wenn auch das „Bis bald“ ein Symbol für eine Spur Hoffnung sein könnte…
Auf jeden Fall gut, und dem gesamten Team zu wünschen, wäre: „Bis bald in Ihrem Filmtheater“.
 
© Detlef Stoffel