Bio - Organisches Wachstum?

Nischen konstruktiv wahrnehmen, ausbauen und pflegen von Detlef Stoffel
Ende Februar wird sich die "Bio-Welt" auf ihrer alljährlichen Fachmesse, der "BioFach" treffen. Detlef Stoffel hat sich Gedanken über eine "organische" Zukunft der "Bio-Welt" gemacht.
Nachdem sich die "Bio-Welt" zunächst von Wollpullovern und Birkenstock-Schuhen "emanzipieren" musste, war einige Zeit später die Nische dran: "Raus aus der Nische" wurde zum – inhaltlich nicht überprüften – Schlachtruf. Wobei es heute schwierig sein dürfte herauszufinden, wer da wem "argumentativ" gefolgt ist: Die Branche einer angeblichen Öffentlichkeit oder umgekehrt. Anstatt nämlich ein kritisches Selbstbewusstsein über die eigenen, vielfältigen (!) Wurzeln zu pflegen und zu entwickeln, setzte die Branche auf etwas, was im ökologischen Landbau eigentlich verpönt ist: sehr schnelles, nicht organisches Wachstum. Wachstumsbeschleuniger waren dabei u.a. die Ideologie "Bio für alle" (wobei "alle" nicht gefragt wurde…), Egozentrik und sicher auch das allgemeine Bio-Kennzeichen auf Basis des kleinsten gemeinsamen Qualitäts-Nenners.
Einmal im Jahr feiert sich die Branche selbst auf der Bio-Fach, der Welt-Leitmesse, und dort vor allem eins: das Wachstum. Nicht irgendein Wachstum, versteht sich, es geht um das Wachstum von Umsätzen jeglicher Art - vom Wachstum der Qualitäten oder sozialer Kompetenzen, um nur zwei nicht ökonomistisch orientierte Beispiele zu nennen, ist wenig bis nicht die Rede.
Fazit: Menschen, die sich ursprünglich bewusst gegen die sie umgebende Normalität wandten, schufen mit den Jahren eine ebenso lächerliche wie genaue Kopie dieser "Normalität": Raus aus der Nische, rein in die Gesichtslosigkeit und Beliebigkeit. Aber: "Bio" ist immer noch nicht über fünf Prozent. Eine "Nische" hat sich an die Allgemeinheit verkauft, aber eigentlich gar nichts erreicht. Wenn das keine Krise ist …
Die so genannte globale Krise ist ja die logische Folge globaler Entdemokratisierung, anders ausgedrückt der Aushöhlung des Selbstbestimmungsrechtes der Menschen durch zunehmende und immer weniger kontrollierbare Konzentration globaler Polit-, Wirtschafts- und Finanzstrukturen. Und diese "Krise hat die "Bio-Welt" bisher erstaunlich unbeschadet gelassen - noch. Dennoch stellt sie sich Fragen wie: "Was bewegt die Bio-Welt?" oder "Bio Konsum in Zeiten der ökonomischen Krise – wohin geht die Entwicklung? Man beachte: Auch hier geht es wieder nur um den ökonomischen Teil der "Krise" – gravierende, z.B. soziologische, Aspekte werden nicht einmal angedacht.
Gleichwohl seien hier zwei Anregungen gegeben. Erstens: Wer oder was ist die "Bio-Welt"? Die Aussteller und Besucher der BioFach vielleicht? Da müsste man dann zumindest von Welten reden. Ich sehe absolut keinen Zusammenhang zwischen einem regional verankerten, im besten Fall eine Familie ernährenden, Ziegenhof irgendwo in Süddeutschland und einer Eier-Fabrik mit 100.000 Hühnern irgendwo in Norddeutschland, deren einziger Sinn die Gewinnmaximierung ist. Bei beiden mag "bio" drauf stehen, aber sie haben wirklich gar nichts gemein. Ehrlich wäre es, den Begriff "Bio-Welt" zu präzisieren – oder auf ihn zu verzichten. Die gegenwärtige "Krise" basiert sehr stark auch auf Entfremdung und Anonymisierung (z.B. aufgrund des globalisierten Marktes, bei dem die Waren aus immer entfernteren Gegenden kommen). Eine "Bio-Welt", die damit konform geht, ist eine Lüge.
Und eine "BioFach", die solche Fragen ausklammert, auch. Also Klartext(e) bitte, damit endlich einmal Grundlagen geschaffen werden, um die Spreu vom Weizen trennen zu können.
Zweitens: "Wohin geht die Entwicklung?" Bestimmt nicht nur in eine Richtung. "Aus der Krise hilft nur Grün", sagen die Grünen, ersinnen zur Konjunkturankurbelung den neuen "Grünen New Deal" und koalieren im Zweifelsfall mit jedem. Vor der o.g. Frage aber könnte die Aufarbeitung stehen: Wohin ging die Entwicklung? Was ist von den Ursprungsimpulsen übriggeblieben? Und falls der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass die Zufriedenheit mit den heutigen Zuständen eher klein ist, wäre ja einer der möglichen Diskussionsansätze vielleicht dieser: Nachdem wir uns also durch Unaufmerksamkeit, eigene Blödheit oder was auch immer aus "der Nische" heraus in die Unverbindlichkeit katapultiert haben, aktivieren diejenigen, denen die Unverbindlichkeit nicht liegt oder gewaltig auf die Nerven geht, neue „Nischen", deren Qualitäten definiert, erkennbar und vermittelbar sind; Nischen, die mit anderen ihrer Art konstruktiv kommunizieren und kooperieren, denen Vielfalt wichtiger ist als Einfalt, die "Wachstum" auf vielfältige Art und Weise betrachten und nicht in einer rein ökonomistischen Sichtweise erstarren, die vielleicht sogar neue Formen des Handel(n)s ausprobieren.
Alle Entwicklungen dieser Welt entstanden in Nischen: Wenn "Bio" auch weiterhin etwas mit Leben und lebendig sein zu tun haben soll, dann sind jetzt wieder Pioniere jeden Alters aufgefordert, das zu beweisen. Seit der "Krise" wird weltweit proklamiert, dass nun vieles "anders" werden muss, wovon allerdings nichts zu merken ist. Der Teil der "Bio-Welt", der die Folgen des Turbokapitalismus (u.a. Individualneoliberalität) und die damit einhergehende Entdemokratisierung nicht hinnehmen will, hat bestimmt ein ganzes Bündel von Anknüpfungspunkten für weiter führende Ideen und Alternativen. Und die müssen nicht notwendigerweise etwas mit "back to the roots" oder alten (Woll)Socken zu tun haben.
Zum Autor: Mit 27 gründete Detlef Stoffel 1977 einen der ersten Bio-Läden der Republik, Löwenzahn in Bielefeld, es folgten zwei weitere Läden und Anfang der 80er der regionale Großhandel gleichen Namens. Mitgründer verschiedener Firmen im Naturkost-Bereich, Mitgründer des Bundesverband Naturkost Naturwaren und dort über zehn Jahre Vorstand, Vorstandstätigkeit im Demeter-Marktforum. Mitgründer und langjähriger Geschäftsführer der Marketing für Naturkost (heute ECHT BIO). Seit 2000 freier Berater und Projektentwickler.