„Völlig losgelöst“
06/11/2008
oder „Der unheimlichen Weidenkorb-Tausch“
Gedankenfetzen zur „Zukunftskonferenz für den Naturkosthandel“,
2.-4.11.2008, Berlin
Falls die Technik funktioniert, schwebt an der Wand über dem Podium digital projiziert eine junge Frau in offenbar bester Laune vor einem blauen Himmel – ohne Bodenhaftung… - völlig losgelöst und sympathisch. Der dazugehörige Boden, ein abgeerntetes Getreidefeld, vermutlich „ bio“, weil einige Beikräuter zu sehen sind, hängt analog und gedruckt auf einem Plakat daneben. Eine schöne Symbolik: Die Ernte ist eingebracht, jetzt ist Zeit für Neues und auch zum Feiern, dann wird umgepflügt und neu gesät für die nächste Ernte…
Den Ablauf der Veranstaltung gestalten dann allerdings nette ältere Herren mit sehr viel Bodenhaftung: Der sympathische Ausbildungs-Manager, der selbstverliebte Unternehmensberater, der ganz und gar selbstverliebte Selbstdarsteller. Der macht gleich zu Beginn klar: „Wir“ sind die „Guten“ und er ist der Obergute („Wer mich kennt, weiß das“…). Alles, was er sagt, habe ich so oder anders schon von ihm gehört, mich immer mal wieder darüber geärgert, dass er sich besonders gern über abwesende Personen und Firmen negativ äußert, verbunden mit einer merkwürdigen Inszenierung persönlichen Beleidigtseins.
Seit acht Jahren habe ich an „Bio“-Veranstaltungen dieser Art nicht mehr teilgenommen. Nun bin ich wieder angekommen - in der Vergangenheit der Attitüden und Argumente.
Allerdings: recht neu scheint dann doch die Erkenntnis, dass uns „Bio“ abhanden gekommen ist, jetzt nicht Alfred Bio(lek), der wird ja auch immer mal wiederholt, nein, „unser Bio“, für das wir als tapfere Pioniere so hart gekämpft haben. „Die Anderen“ haben es ausgehöhlt, verbilligt, verwässert.
Selbstreflexion, Selbstkritik? Fehlanzeige. Frau Künast, die auch keine neue, aber gut aktualisierte Rede hält, bringt es auf den Punkt:
„Ich sehe die Gefahr, dass aufgrund des steigenden Bedarfs und des Konkurrenzdrucks in der jungen Branche Fehler begangen werden könnten, die wir auch auf dem konventionellen Lebensmittelmarkt sehen.“
Als Ministerin hätte sie das so nicht gesagt, in der Opposition schärft sich erfreulicherweise wieder der Blick.
Noch genauer hingeschaut, müsste man allerdings präzisieren:
Der Konjunktiv wurde längst Realität – kaum ein Fehler, hinlänglich aus dem konventionellen Bereich bekannt, der nicht kopiert wurde.
Alles hausgemacht in der Familie „Gut“…
Überhaupt, das Kopieren: In diesem Jahr hatte ich Gelegenheit, an zwei Zukunftskongressen der „Bösen“ teilzunehmen (denen übrigens Begriffe wie Bio, Nachhaltigkeit, Fair Trade inzwischen gelassen und geschliffen durchs Hirn und über die Lippen gehen…). Was mir bei solchen Veranstaltungen immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes aufstößt, ist diese nassforsche Kumpelhaftigkeit der Moderationen und auch mancher Vortragenden, diese schlechten Kopien amerikanischer Kommunikation, die zwar auch nicht angenehm, aber irgendwie wenigstens authentisch ist („Your turn, Bob?“).
Die noch viel schlechteren Kopien der Kopien habe ich doch tatsächlich auf diesem Naturkost-Zukunftskongress entdeckt: Da wird in einer verkrampften Lockerheit über Authentizität doziert, in schlechtem Englisch Weltgewandtheit vorgetäuscht, mit unechtem Lachen durch die Workshops moderiert, dass es mir die kalten Schauer den Rücken hoch und runter jagt. Und wenn sich die Organisatoren „ganz zufällig“ die verbalen Bälle hin-und-her-spielen, noch peinlicher als im Privatfernsehen, könnte ich endgültig kotzen.
Keine ordentliche Bio-Veranstaltung ohne Podiumsdiskussion. Keine Bio-Podiumsdiskussion ohne zu viele TeilnehmerInnen, dafür ohne Diskussion; natürlich auch ohne polarisierende Moderation. Auf dem Podium Sitzende sondern Statements ab. Wenn das Plenum sich einmischt, gibt’s Essen.
Party mit verordnetem Knuddeln. Wer seit 30 Jahren nach der gleichen Musik tanzt, wird die Zukunft wohl eher nicht gestalten…
Hoch lebe der gruppendynamische Terror der 70er. Zitat: „Flexibel bleiben und spielerisch Wahrnehmung entwickeln!“ (Anordnung aus dem Programmheft). Dieser sanfte Dogmatismus passt gut zum Tagungsort: Eine Kirche, Heimat des verordneten kollektiven Leidens und der Unfreiheit der Gedanken…
Aufatmen in der Lobby ausgerechnet des MotelOne - inmitten von unverkrampft freundlichen Fremden.
„Wer hat die Marktmacht?“ Der Referent hat auf jeden Fall mal die Macht der Aufmerksamkeit durch wohl kalkulierte Witzchen. Bevor der Naturköstler lacht, muss er erst so einen einfliegen – über sich selbst lacht er nicht so gerne (vielleicht reicht das Lungenvolumen dafür nicht?).
Immerhin wird jetzt der Sinn der „Zukunftskonferenz“ deutlich.
Ein Handelsverband selbständiger Kaufleute soll also her – und mit ca. 60 Lädchen will man beginnen. Da werden die Herren dennree und Altnatura ja mächtiges Muffensausen bekommen…
Kein Zweifel – eine solche Überlegung und Initiative machen Sinn (und sind ja seit Jahren der heimliche Antrieb des kleinen Königs vom BNN EH).
Aber für diese lapidare „Erkenntnis“ eine „Zukunftskonferenz“ initiieren???
Eine Zukunftskonferenz – was könnte da nicht alles geschehen?
- Vor allem: Konferieren – miteinander reden.
- Durchatmen.
- Abheben.
- Alles bisherige radikal infrage stellen.
- Querdenken.
- Jugend einbeziehen (der ja die Zukunft gehört).
- Einbrechen und die Möbel umstellen (wenn man denn schon
„Die fetten Jahre sind vorbei“ bemüht).
- Subversion zulassen.
- Konfrontation üben (Oder wie oft soll noch ein alter Bio-Hase in der
Talkshow scheitern? Oder wie viele Frechheiten á la „Bio-Schauma“ oder
„Bio Tschibo“ sollen noch unkommentiert den Markt verseuchen?)
- Den kreativen Diskurs lernen.
- Mal wirklich Spaß haben.
Und so weiter…
Und diese „Zukunftskonferenz“???
- Beschwört die vollzogene Überwindung des „Schlabber/Birkenstock-
usw.-Look und kommt überwiegend genau so daher…
- Jammert.
- Klopft sich unangenehm häufig selbst auf die Schultern.
- Suhlt sich in der Vergangenheit.
- Lässt sich immer noch von Männern dominieren.
- Zelebriert den Closed Shop.
- Konferiert nicht, sondern doziert.
- Lässt sich von den TeilnehmerInnen die Werbeauftritte der agierenden
Beratungsfirmen und Verbände auch noch bezahlen.
- Und gebiert schließlich – eine Maus (man braucht wenig Phantasie,
um vorherzusehen, worum es bei den künftigen Mäusetreffen gehen
wird: um Preise und Konditionen).
Die „Workshops II“, mag ich mir nicht mehr antun. Hier sagen ja schon die Themen, dass bis zum bitteren Ende weiter durchdoziert werden wird.
Der 29er Bus fährt mich zurück in die Wirklichkeit. Im ICE ein wenig Schäkern mit der ganz natürlich netten Zugbegleiterin. Aufatmen und diese Zeilen beginnen.
Am nächsten Morgen wird Obama die Wahl gewonnen haben.
Irgendwo findet also doch Zukunft statt…
PS
Wie mir berichtet wurde, haben sich die Veranstalter zum Schluss auch noch gegenseitig mit Geschenkkörben bedacht – sektenähnliche Rituale…
Das „Volk“, immerhin, ging mit Provianttüten aus Papier heim…
Gedankenfetzen zur „Zukunftskonferenz für den Naturkosthandel“,
2.-4.11.2008, Berlin
Falls die Technik funktioniert, schwebt an der Wand über dem Podium digital projiziert eine junge Frau in offenbar bester Laune vor einem blauen Himmel – ohne Bodenhaftung… - völlig losgelöst und sympathisch. Der dazugehörige Boden, ein abgeerntetes Getreidefeld, vermutlich „ bio“, weil einige Beikräuter zu sehen sind, hängt analog und gedruckt auf einem Plakat daneben. Eine schöne Symbolik: Die Ernte ist eingebracht, jetzt ist Zeit für Neues und auch zum Feiern, dann wird umgepflügt und neu gesät für die nächste Ernte…
Den Ablauf der Veranstaltung gestalten dann allerdings nette ältere Herren mit sehr viel Bodenhaftung: Der sympathische Ausbildungs-Manager, der selbstverliebte Unternehmensberater, der ganz und gar selbstverliebte Selbstdarsteller. Der macht gleich zu Beginn klar: „Wir“ sind die „Guten“ und er ist der Obergute („Wer mich kennt, weiß das“…). Alles, was er sagt, habe ich so oder anders schon von ihm gehört, mich immer mal wieder darüber geärgert, dass er sich besonders gern über abwesende Personen und Firmen negativ äußert, verbunden mit einer merkwürdigen Inszenierung persönlichen Beleidigtseins.
Seit acht Jahren habe ich an „Bio“-Veranstaltungen dieser Art nicht mehr teilgenommen. Nun bin ich wieder angekommen - in der Vergangenheit der Attitüden und Argumente.
Allerdings: recht neu scheint dann doch die Erkenntnis, dass uns „Bio“ abhanden gekommen ist, jetzt nicht Alfred Bio(lek), der wird ja auch immer mal wiederholt, nein, „unser Bio“, für das wir als tapfere Pioniere so hart gekämpft haben. „Die Anderen“ haben es ausgehöhlt, verbilligt, verwässert.
Selbstreflexion, Selbstkritik? Fehlanzeige. Frau Künast, die auch keine neue, aber gut aktualisierte Rede hält, bringt es auf den Punkt:
„Ich sehe die Gefahr, dass aufgrund des steigenden Bedarfs und des Konkurrenzdrucks in der jungen Branche Fehler begangen werden könnten, die wir auch auf dem konventionellen Lebensmittelmarkt sehen.“
Als Ministerin hätte sie das so nicht gesagt, in der Opposition schärft sich erfreulicherweise wieder der Blick.
Noch genauer hingeschaut, müsste man allerdings präzisieren:
Der Konjunktiv wurde längst Realität – kaum ein Fehler, hinlänglich aus dem konventionellen Bereich bekannt, der nicht kopiert wurde.
Alles hausgemacht in der Familie „Gut“…
Überhaupt, das Kopieren: In diesem Jahr hatte ich Gelegenheit, an zwei Zukunftskongressen der „Bösen“ teilzunehmen (denen übrigens Begriffe wie Bio, Nachhaltigkeit, Fair Trade inzwischen gelassen und geschliffen durchs Hirn und über die Lippen gehen…). Was mir bei solchen Veranstaltungen immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes aufstößt, ist diese nassforsche Kumpelhaftigkeit der Moderationen und auch mancher Vortragenden, diese schlechten Kopien amerikanischer Kommunikation, die zwar auch nicht angenehm, aber irgendwie wenigstens authentisch ist („Your turn, Bob?“).
Die noch viel schlechteren Kopien der Kopien habe ich doch tatsächlich auf diesem Naturkost-Zukunftskongress entdeckt: Da wird in einer verkrampften Lockerheit über Authentizität doziert, in schlechtem Englisch Weltgewandtheit vorgetäuscht, mit unechtem Lachen durch die Workshops moderiert, dass es mir die kalten Schauer den Rücken hoch und runter jagt. Und wenn sich die Organisatoren „ganz zufällig“ die verbalen Bälle hin-und-her-spielen, noch peinlicher als im Privatfernsehen, könnte ich endgültig kotzen.
Keine ordentliche Bio-Veranstaltung ohne Podiumsdiskussion. Keine Bio-Podiumsdiskussion ohne zu viele TeilnehmerInnen, dafür ohne Diskussion; natürlich auch ohne polarisierende Moderation. Auf dem Podium Sitzende sondern Statements ab. Wenn das Plenum sich einmischt, gibt’s Essen.
Party mit verordnetem Knuddeln. Wer seit 30 Jahren nach der gleichen Musik tanzt, wird die Zukunft wohl eher nicht gestalten…
Hoch lebe der gruppendynamische Terror der 70er. Zitat: „Flexibel bleiben und spielerisch Wahrnehmung entwickeln!“ (Anordnung aus dem Programmheft). Dieser sanfte Dogmatismus passt gut zum Tagungsort: Eine Kirche, Heimat des verordneten kollektiven Leidens und der Unfreiheit der Gedanken…
Aufatmen in der Lobby ausgerechnet des MotelOne - inmitten von unverkrampft freundlichen Fremden.
„Wer hat die Marktmacht?“ Der Referent hat auf jeden Fall mal die Macht der Aufmerksamkeit durch wohl kalkulierte Witzchen. Bevor der Naturköstler lacht, muss er erst so einen einfliegen – über sich selbst lacht er nicht so gerne (vielleicht reicht das Lungenvolumen dafür nicht?).
Immerhin wird jetzt der Sinn der „Zukunftskonferenz“ deutlich.
Ein Handelsverband selbständiger Kaufleute soll also her – und mit ca. 60 Lädchen will man beginnen. Da werden die Herren dennree und Altnatura ja mächtiges Muffensausen bekommen…
Kein Zweifel – eine solche Überlegung und Initiative machen Sinn (und sind ja seit Jahren der heimliche Antrieb des kleinen Königs vom BNN EH).
Aber für diese lapidare „Erkenntnis“ eine „Zukunftskonferenz“ initiieren???
Eine Zukunftskonferenz – was könnte da nicht alles geschehen?
- Vor allem: Konferieren – miteinander reden.
- Durchatmen.
- Abheben.
- Alles bisherige radikal infrage stellen.
- Querdenken.
- Jugend einbeziehen (der ja die Zukunft gehört).
- Einbrechen und die Möbel umstellen (wenn man denn schon
„Die fetten Jahre sind vorbei“ bemüht).
- Subversion zulassen.
- Konfrontation üben (Oder wie oft soll noch ein alter Bio-Hase in der
Talkshow scheitern? Oder wie viele Frechheiten á la „Bio-Schauma“ oder
„Bio Tschibo“ sollen noch unkommentiert den Markt verseuchen?)
- Den kreativen Diskurs lernen.
- Mal wirklich Spaß haben.
Und so weiter…
Und diese „Zukunftskonferenz“???
- Beschwört die vollzogene Überwindung des „Schlabber/Birkenstock-
usw.-Look und kommt überwiegend genau so daher…
- Jammert.
- Klopft sich unangenehm häufig selbst auf die Schultern.
- Suhlt sich in der Vergangenheit.
- Lässt sich immer noch von Männern dominieren.
- Zelebriert den Closed Shop.
- Konferiert nicht, sondern doziert.
- Lässt sich von den TeilnehmerInnen die Werbeauftritte der agierenden
Beratungsfirmen und Verbände auch noch bezahlen.
- Und gebiert schließlich – eine Maus (man braucht wenig Phantasie,
um vorherzusehen, worum es bei den künftigen Mäusetreffen gehen
wird: um Preise und Konditionen).
Die „Workshops II“, mag ich mir nicht mehr antun. Hier sagen ja schon die Themen, dass bis zum bitteren Ende weiter durchdoziert werden wird.
Der 29er Bus fährt mich zurück in die Wirklichkeit. Im ICE ein wenig Schäkern mit der ganz natürlich netten Zugbegleiterin. Aufatmen und diese Zeilen beginnen.
Am nächsten Morgen wird Obama die Wahl gewonnen haben.
Irgendwo findet also doch Zukunft statt…
PS
Wie mir berichtet wurde, haben sich die Veranstalter zum Schluss auch noch gegenseitig mit Geschenkkörben bedacht – sektenähnliche Rituale…
Das „Volk“, immerhin, ging mit Provianttüten aus Papier heim…