Wachsen, weichen oder spezialisieren?

Biohandel / Dezember 2000 / Branche

Reaktionen des Großhandels auf Löwenzahn
Die Branche zieht ihren Hut vor Detlef Stoffel. Für die Entscheidung, seine Firma Löwenzahn finanziell geordnet abzuwickeln, gab es in den vom SPECIAL gesammelten Statements viel Respekt, Verständnis und Lob. Einen Anlass, verstärkt über die Strukturen im Naturkostgroßhandel nachzudenken, sahen nur Wenige.

Leo Frühschütz

Überrascht waren alle. Einen „dramaturgischen Paukenschlag” nannte Hilde Fauland-Weckmann von Terra Naturkost Berlin das Aus für den Bielefelder Regionalgroßhändler. „Es gibt Kollegen, da hätte es mich weniger überrascht”, sagt Wilhelm Rinklin von der gleichnamigen Firma ganz offen. „Er hat immer souverän gearbeitet.” Wegen der schwarzen Zahlen, die bis zum Schluss in der Bilanz standen, halten die meisten Branchenkollegen die persönlichen Gründe für ausschlaggebend. „Er ist nicht der Typ zum Expandieren”, „Er will mit 50 noch etwas anderes machen”, „Das Vorgehen passt zu ihm”, „Er hat für sich persönlich eine Entscheidung getroffen” - so lauteten typische Kommentare.
Auf die wirtschaftlichen Argumente in Detlef Stoffels „Abschiedsbrief” wurde oft mit dem Hinweis eingegangen, dass die Rahmenbedingungen für jeden Betrieb anders seien. „Ich halte es für übertrieben, daraus Rückschlüsse für die Branche zu ziehen”, bringt es BNN-Großhandel-Geschäftsführerin Elke Röder auf den Punkt. Berater Martin Fütterer lobt die wirtschaftliche Weitsicht Stoffels: „Es verdient sehr viel Respekt, dass er zu einer Zeit, wo der Betrieb noch gut da steht, den Ausstieg aus einem Projekt geschafft hat, dessen Perspektiven unsicher sind. Es ist ein solides kaufmännisches Verhalten, nicht erst dann auszusteigen, wenn der Ertrag nachlässt, sondern schon dann, wenn die Investitionskraft den Aufgaben der Zukunft nicht gerecht wird.”
Auch viele Kollegen aus dem Regionalgroßhandel loben die Wahl des Zeitpunkts - und dass durch das Aus für Löwenzahn keine Lieferanten geschädigt wurden. „Das finde ich absolut super,” lautete zum Beispiel der Kommentar von Hilde Gebhard von pax an. Carsten Reich von CARE sieht darin so etwas wie ein Vorbild für die Branche.
Tatsächlich ist Löwenzahn der erste Großhändler, der seine Arbeit einstellt, ohne Konkurs zu machen. Andere Verteiler haben bei ihren Untergängen Millionenwerte vernichtet und manchen Lieferanten in arge Bedrängnis gebracht. Allein in den letzten sechs Jahren mussten fünf Betriebe aufgeben: Kornkammer, NaWagEs, Schwarzbrot, Buten as Binnen, Grünes Netz und Kornkraft. Naturring, der Verteilerdienst Rhein-Main und der Münchner Großhändler Jo Weiß legten davor teils spektakuläre Pleiten hin.
„Keine Chancen bei zu geringem Umsatz”
Dass weitere der derzeit rund 15 regionalen Großhändler folgen werden, ist für Andreas Ritter-Ratjen sicher. „Großhändler mit 10 bis 15 Millionen Umsatz haben keine Überlebenschancen”, sagt der Geschäftsführer der C.F. Grell GmbH. „Die Anforderungen der Läden an Leistung und Service wachsen und können nur bei gewissen Umsätzen erfüllt werden.” Außerdem würden höhere Umsätze auch die Logistik preiswerter machen. Carsten Reich vergleicht die Umsätze der kleinsten Großhändler mit denen großer Bio-Supermärkte. Als Geschäftsführer der Firma CARE (und nicht in seiner Eigenschaft als BNN-Vorstand kommt er zu dem Schluss, „dass dieser Schritt von Detlev Stoffel auch andere regionale Großhändler zu einem schnelleren Handeln bringen wird.”
Auch Wilhelm Rinklin rechnet noch mit einigen Überraschungen in den nächsten Jahren. „Es werden immer wieder einige von uns Regionalen vor einer Situation stehen wie Detlef und müssen dann eine Entscheidung treffen.” Wilhelm Rinklin hat sie für sich und seinen Betrieb bereits getroffen und das Betriebsgebäude ausgebaut, mit entsprechenden Finanzierungslasten. „Ein Aufhören gibt es jetzt nicht mehr. Wir haben uns selbst unter Erfolgsdruck gesetzt.” Auch andere Firmen wie Weiling oder Naturkost Elkershausen haben in neue Lagerräume investiert und setzen auf Wachstum.
Natürlich ist damit ein hohes Risiko verbunden. „Der Markt nimmt keine Rücksicht darauf, dass ein Betrieb womöglich zweistellige Zuwächse beim Umsatz braucht, um sich zu finanzieren”, formuliert es Berater Klaus Braun. Sein Blick in die Zukunft: „In dieser Vielfalt gibt es nicht für alle Betriebe eine dauerhafte Überlebenschance. Denn dafür braucht es eine manövrierfähige Umsatzmasse, schon gar, wenn alle weitgehend gleiche Komplettsortimente anbieten.” Economy Of Scales heißt im Wirtschaftsenglisch dieser Grundsatz, dass ab bestimmten Größenordnungen bestimmte Kosten schlagartig sinken und sich Einkaufskonditionen und Qualität verbessern ‘.
Gibt es eine „Economy Of Scales”?
Auf das von vielen Großhändlern geäußerte Argument, dass die Höhe der Logistik-Kosten nicht in erster Linie von der Größe des Unternehmens abhänge, sondern von der Effizienz der Organisation, reagiert Klaus Braun eher skeptisch. „Die Chance zu effizienter Organisation und Logistik steigt mit höheren Umsätzen – absolut und je Kunde.” Hilde Gebhard hält dagegen, dass die Großen vermutlich höhere Spannen bräuchten, um auf ihre Kosten zu kommen und dies vor allem erreichen, indem sie Lieferantenpreise drücken. „Die Vertriebsstruktur der Größeren ist nicht billiger als unsere. Wenn in unserer Branche nur das Credo „Viel groß – viel gut” nachgeplappert wird, dann ist das banal und platt.”
„Es wird auch weiterhin kleine Betriebe geben”
Auch Elke Röder teilt die Philosophie der „Economy Of Scales” nicht. „Es wird nicht so sein, dass nur Großhändler mit zig Millionen Umsatz Zukunft haben. Es wird auch weiterhin kleine Betriebe geben.” Aus dem Löwenzahn-Aus lassen sich ihrer Meinung nach auch keine pauschalen Schlüsse für die Branche ziehen. „Man muss sich jeden Einzelfall genau anschauen: Die Kapitalausstattung, die Kundensituation, die Unternehmerpersönlichkeit und die Stärken des Unternehmens.”
Das sehen auch diese Betriebe selbst so. „Man braucht ein klares Konzept und wenn das vom Markt angenommen wird, dann lässt es sich in jeder Größenkategorie gut leben”, sagt Matthias Deppe, Geschäftsführer von Naturkost Nord in Hamburg. „Wir definieren uns nicht über Größe, sondern über Wirtschaftlichkeit. Und da müssen wir den Kopf nicht in den Sand stecken.” Beim Konzept setzt Deppe auf Frische, Sortimentskompetenz und auf abgestimmte Konzepte für unterschiedliche Kundenkreise. „Die Großen sprechen nur eine bestimmte Zielgruppe an und fungieren für die überwiegend als Bestellannahmezentrum. Sie sind zuwenig Spezialist für einzelne Sortimente. Wir definieren uns vor allem als Frischdienst und haben neben den Läden auch die Betreiber von Marktständen und Abokisten als Zielgruppen erschlossen.” Das Trockensortiment, das Naturkost Nord anbietet, stammt vom Partner Bodan.
Auch Jochen Schritt von Kornkraft Hosüne sieht das Trockensortiment als notwendigen Umsatzbringer, setzt aber auf Frische – vor allem aus der Region. „Der Verbraucher erwartet regionale Frischware und zahlt dafür auch einen höheren Preis. Wir sehen das jedes Jahr, zum Beispiel, wenn die Äpfel oder Kartoffeln aus der Umgebung auf den Markt kommen.” Ein guter Kontakt zu den regionalen Erzeugern sei da Voraussetzung. „Bei uns rufen viele Erzeuger an, die sich nach dem Aus von Löwenzahn fragen, was sie jetzt machen sollen.”
Weil auch Löwenzahn einen hohen Frischeanteil hatte, ist sich Jochen Schritt sicher, dass genug Potenzial da gewesen wäre, das Unternehmen zum Erfolg zu führen. „Aber das hat er sich wohl nicht mehr zugetraut.” Kornkraft Hosüne dagegen kauft gerade ein neues Gebäude. „Die Läden werden die regionale Profilierung brauchen und sie in Zukunft stärker nutzen. Sogar Bio-Supermärkte haben ein paar Direktlieferanten aus der Region.”
Frischware ist auch für Klaus Braun eine der Nischen, die kleinere Großhändler erfolgreich besetzen können, „wenn sie den Läden einen Zusatznutzen bieten, den die Großen nicht im Programm haben.” Dazu gehören gute Beziehungen zu regionalen Erzeugern ebenso wie das Eingehen auf kundenspezifische Details. Ein wichtiger Bereich zur Profilierung seien außerdem Convenience-Produkte regionaler Hersteller, die für einen bundesweiten Vertrieb zu klein sind. „Kleinere Händler haben die Chance, schneller zu reagieren, schneller ein gutes Produkt zu entdecken.” Weil die Regionalen einiges besser könnten als ein bundesweiter Anbieter wie Dennree, behalten nach seiner Erfahrung auch große Läden, die auf Dennree setzen, einen regionalen Lieferanten. Und umgekehrt. „Wichtig ist die Frage, ob der Kleine das alles so effizient machen kann, dass er daran auch noch verdient.”
Es „menschelt” – Hindernis für Kooperationen
Dass Kooperationen hilfreich sind, um dieses Problem zu lösen, sagen alle befragten Großhändler. Dass solche Kooperationen selten sind, begründen die Betroffenen meist mit der Chemie, die zwischen den Beteiligten stimmen müsse. „Es menschelt da halt auch”, meint Klaus Braun und verweist darauf, dass viele der Geschäftsführer oder Inhaber Pioniere sind, die ihr Unternehmen und den Markt über zwanzig Jahre hinweg aufgebaut haben. Ein sachliches Argument wirft Wilhelm Rinklin in die Debatte: „Kooperationen müssen sich auch rechnen”. Er verweist auf versteckte Kosten der Zusammenarbeit, die oft nirgends auftauchen würden, etwa der Arbeitsaufwand für die Koordination. Auch seien größere Einheiten langsamer.
Trotzdem müssten die Betriebe sich zusammenraufen, mahnt Carsten Reich: „Überlebensfähige Strukturen müssen die Mitglieder schaffen, das ist nicht Aufgabe des Verbandes.” „Es geht nach wie vor darum, Netze zu knüpfen,” sekundiert Elke Roeder. Deutlich wird Jürgen Klaubert von der Naturata: Man habe seit Jahren versäumt, die Diskussion um „potenzial-erhöhende” Kooperationen zu führen. Die Probleme seien im Grunde bekannt. Aber es würden leider keine Konsequenzen gezogen. „Die Großhandelslandschaft wird in drei Jahren nicht mehr so wie heute aussehen.” Deshalb sei es dringend geboten, sich zu überlegen, was für die Branche notwendig sei und wie man die richtige Leistung mit den richtigen Firmen schaffen könne. Jürgen Klaubert: „Es kann nicht darum gehen, wie man seine Burg am besten zusammenhält.”
Service, Einkauf und Vertrieb sind die drei Bereiche, in denen Ulrich Keßler von Naturkost Elkershausen eine stärkere und engere Zusammenarbeit für dringend notwendig hält. Ganz oben steht dabei der Service, zu dem Marketingkonzepte ebenso gehören wie umfangreiche Hilfestellungen bei der Neugründung oder Erweiterung von Läden.

22 gehen zu Elkershausen
Viele Kunden von Löwenzahn haben sich noch nicht endgültig auf einen neuen Lieferanten festgelegt. Eine Momentaufnahme Anfang November ergab, dass sich etwa 70 Läden, darunter viele kleinere, vorerst für Weiling entschieden haben. Bei Dennree sind es rund zehn und 22 Läden haben Naturkost Elkershausen als Hauptlieferanten gewählt, darunter zehn NIEB-Geschäfte.

Atempause nutzen
„Die Branche hat die Tendenz, Entwicklungen zu verschlafen”, sagt Carsten Reich. Er ist sich sicher, dass sich Naturkostgroß- und Einzelhandel auf härtere Zeiten einrichten müssen, sobald der Lebensmittel-Einzelhandel wirklich anfängt, massiv auf Bio zu setzen. Bernd Weiling stösst in das gleiche Horn: „Die Anforderungen an den Naturkostgroßhandel steigen sehr rasch. Sie werden noch andere Dimensionen erreichen, wenn der LEH seine Preis- und Machtkämpfe überwunden hat und sich wieder auf Bio besinnt.” Für Weiling war dies mit ein Grund, die gesamte Logistik seines Unternehmens von externen Experten unter die Lupe nehmen zu lassen und auch umzustellen, etwa auf Steco-Kisten.

Absprachen auf dem Prüfstand
Die Beschränkung auf ein relativ klar definiertes regionales Absatzgebiet hat im Naturkostgroßhandel Tradition. Ob diese Gebietsabsprachen für die weitere Entwicklung hilfreich sind, ist umstritten.
Wilhelm Rinklin: „Die Gebietsabsprachen spielen Dennree in die Hände. Der weitet sich dorthin aus, wo der Widerstand gering ist, also in Gegenden mit nur einem Regionalhändler. Es ist ja nicht so, dass Dennree bei den Ladnern nur Freunde hat. Jeder Ladner schaut zuerst, dass er mit seinem regionalen Großhändler klar kommt. Wenn das nicht klappt und kein anderer da ist, geht er zu Dennree. In Baden-Württemberg kann im Prinzip jeder Ladner bei zwei verschiedenen regionalen Großhändlern einkaufen. Die Dennree-Durchdringung bei uns ist wesentlich geringer als anderswo.”
Hilde Gebhard: „Das sind keine Gebietsabsprachen, das ist der Ausdruck gegenseitigen Respekts. Wir sind bisher gut mit dieser Kultur der Zusammenarbeit gefahren und es gibt immer wieder Fälle, wo wir einem potenziellen Kunden einen anderen Lieferanten empfehlen, weil der für ihn geeigneter ist. Auch umgekehrt kommt so etwas vor. Sie können schlecht mit jemandem kooperieren, der ihnen laufend direkt vor der eigenen Nase ihre Kunden anbaggert. So hat jeder den Kopf frei, sich auf seine Region und seine Stärken zu konzentrieren.”